Sprache als Schlüssel zur Integration
„Der Funke ist direkt übergesprungen. Er hatte ein tolles Auftreten - offen, freundlich und voller Tatendrang - und hat sich getraut, Deutsch zu sprechen“, erinnert sich Doris Hansen an ihre erste Begegnung mit Saman Nariman. Im Oktober 2023 begann der junge Mann, im Verkauf der Hattstedter Filiale der Bäckerei und Konditorei Hansen zu arbeiten. Kennengelernt hatten sich der Familienvater und die Unternehmerin zuvor im Husumer Integration Point, einer Sprachfördermaßnahme des Kreises Nordfriesland für Migranten.
Für beide war es ein echter Glücksfall. Der Nordiraker war fünf Jahre zuvor nach Deutschland gekommen, jobbte zwischenzeitlich als Küchenhelfer in der Gastronomie und wünschte sich eine saisonunabhängige Festanstellung. Der nordfriesische Bäckereibetrieb suchte händeringend Personal - kein Einzelfall. Unternehmen aller Branchen stehen mit Blick auf den sich zuspitzenden Fachkräftemangel seit Längerem vor Herausforderungen. Verkürzte Öffnungszeiten und schließende Betriebe sind deutschlandweit bereits Realität.
„Für uns war klar, dass wir dem Personalnotstand entgegenwirken müssen, indem wir neue Wege ausprobieren und aktiv auf Menschen zugehen, um für uns zu werben“, berichtet Hansen. Über einen Bekannten erfuhr sie vom Integration Point, der Unternehmen die Möglichkeit gibt, sich vorzustellen und mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die einen Einstieg in das Berufsleben anstreben und in der Maßnahme intensiv an ihren Deutschkenntnissen feilen.
Engagement zahlt sich aus
Im Februar 2023 fiel der Startschuss für den Integration Point, der noch bis Ende Januar 2026 läuft und - so der Wunsch der Verantwortlichen und Teilnehmer - hoffentlich verlängert wird. Die Maßnahme richtet sich an Menschen mit einer festen Aufenthaltserlaubnis, einer Aufenthaltsgestattung oder-duldung, die Asylbewerberleistungen bzw. Bürgergeld über das Jobcenter Nordfriesland beziehen.
Die aktuellen Teilnehmer leben im gesamten Kreisgebiet verteilt. Viele sind in den vergangenen Jahren aus Afghanistan, Syrien, dem Iran, dem Irak oder der Ukraine nach Deutschland geflohen. Im Integration Point nähern sie sich der deutschen Sprache und damit dem hiesigen Arbeitsmarkt in drei Modulen über einen Zeitraum von bis zu neun Monaten an.
Das erste Modul besteht aus zwei Klassen mit derzeit je 20 Teilnehmern, die noch nicht in einem Arbeitsverhältnis stehen. Sie lernen von Montag bis Donnerstag - jeweils vormittags - Deutsch und tauchen gleichzeitig in die Traditionen und Gepflogenheiten der hiesigen Kultur ein. Vom Alphabet über die Grammatik bis hin zur Alltagssprache: Die Inhalte werden von zwei Sprach- und Kulturmittlern in Gruppen- und Projektarbeiten sowie spielerisch vermittelt. Dort, wo Menschen mit unterschiedlicher schulischer Vorbildung zusammenkommen, helfen strenge Zeitpläne und strikte Unterrichtsformen nicht. Wer jeden mitnehmen will, der muss eine Lernform schaffen, mit der sich alle wohlfühlen - so die Erfahrung vor Ort.
Dass das gelingt, zeigen die Ergebnisse der vergangenen zwei Jahre. Insgesamt 278 Teilnehmer durchliefen das erste Modul des Integration Point in dieser Zeit -112 Frauen und 166 Männer, zumeist im Alter zwischen 25 und 50 Jahren. Gerade Menschen im höheren Alterssegment haben oft wieder Freude am Lernen und weisen gute Ergebnisse vor. Ausnahmslos alle Teilnehmer bewerteten die Maßnahme für sich als hilfreich und die Ziele, Inhalte und Räumlichkeiten sowie das Personal und denNutzen mit der Note sehr gut. Die Sprachtests zu Beginn und vor Abschluss des Kurses zeigen im Vergleich, dass 69 % der Teilnehmer ihre Deutschkenntnisse sehr gut und 29 % gut verbessern konnten. Speziell das erste Modul stellt damit eine exzellente Vorbereitung auf die anschließenden B1- oder B2-Prüfungen bzw. auf den nächsten Integrationskurs dar.
Sprachkompetenzen Berufstätiger stärken
Doch damit nicht genug: Jeden Freitagvormittag bringt das zweite Modul des Integration Point Personen, die bereits einem Minijob oder einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nachgehen oder eine Ausbildung absolvieren, die berufsspezifische Sprache näher. Unternehmen können ihre Mitarbeiter kostenfrei anmelden mit dem Ziel, dass ihre betrieblichen Abläufe von einer besseren Kommunikation auf Dauer profitieren und eine gelungene Beschäftigung gefestigt wird. Elf von 20 Plätzen sind in diesem Bereich derzeit besetzt.
„Im Vergleich zum ersten Modul haben wir hier durchaus noch Optimierungspotenzial. Zahlreiche Betriebe würden es begrüßen, wenn sie Mitarbeiter mit geringen Sprachkenntnissen für unser zweites Angebot freistellen könnten. Die Auftragslage oder der Personalmangel lassen das aber gar nicht zu. Dieses Aufeinanderprallen von Wunsch und Realität ist ein gutes Beispiel dafür, dass Integration - im Gegensatz zur Meinung vieler - keine gerade Straße ist, auf der dem Sprach- und Kulturerwerb der erfolgreiche Arbeitsmarkteinstieg, der Aufenthaltstitel und schließlich die Einbürgerung folgen. Integration ist ein Weg mit vielen Einbahnstraßen und Stoppschildern. Vor allem aber ist es ein komplexer Weg mit unterschiedlichen Aspekten, die zusammengreifen müssen, aber nicht immer passen“, berichtet Axel Scholz, Leiter des Jobcenters Nordfriesland.
Türöffner in die Arbeitswelt
Montags bis donnerstags findet am Nachmittag schließlich der „Job-Talk“ im Integration Point statt - das dritte Modul. Es konzentriert sich auf die Arbeitsmarktintegration von aktuell bis zu 19 Teilnehmern. Sie bekommen Unterstützung zu Themen wie Bewerbungsschreiben oder Vorstellungsgespräche. Gleichzeitig können sie in diesem Rahmen Berufe und Betriebe kennenlernen - in persönlichen Gesprächen vor Ort oder während Betriebsbesichtigungen.
Hinzu kommt eine weitere Maßnahme der bb gesellschaft für beruf und bildung mbh: der aus Bundesmitteln finanzierte Job-Guide. Er richtet sich an Flüchtlinge im Bürgergeld-Bezug und knüpft an die Sprachförderung direkt mit der Integration in den Arbeitsmarkt an.
Hierbei verhelfen Vermittlungskräfte den Flüchtlingen zu Beschäftigungsverhältnissen oder Praktika und begleiten sie beispielsweise durch den Vorstellungsprozess. Sog. Sprach- und Kulturmittler unterstützen die Teilnehmer anschließend bei der Eingliederung im Betrieb und der Stabilisierung der Beschäftigung. So soll ein fließender Übergang aus der Lernumgebung in das Berufsleben entstehen.
Saman Nariman besuchte während seiner Zeit im Integration Point das dritte Modul und konnte in diesem Rahmen Doris Hansen davon überzeugen, Vertrauen in ihn zu setzen. „In Deutschland läuft viel über den Bewerbungsweg. Wenn man keine Vorkenntnisse in einem Beruf hat, für den man sich interessiert, und die Sprache nicht fließend spricht, ist es schwierig, den Fuß in die Tür zu bekommen. Im Job-Talk konnte sich Frau Hansen direkt einen persönlichen Eindruck von mir machen“, erklärt Nariman.
Für Arbeitgeber ist der Besuch des Integration Point daher ebenso eine echte Chance, weiß Kerstin Quint-Bruns. Sie kümmert sich seitens des Trägers - der bb gesellschaft für beruf und bildung mbh - um die Koordination der Maßnahme und die pädagogische Betreuung der Teilnehmer. „Jeder kann Schritt für Schritt in eine Aufgabe hineinwachsen, man muss ihm nur die Gelegenheit dazu geben. Die Menschen, die zu uns nach Deutschland kommen, sind - mit Blick auf den demografischen Wandel - schließlich die Zukunft unseres Arbeitsmarktes“, so Quint-Bruns. Doris Hansen nahm die Möglichkeit 2023 wahr und konnte so gleich zwei offene Stellen im Verkauf besetzen - mit Saman Nariman und einer jungen Frau aus der Ukraine.
Kommunale Stärke
Die Idee zum Integration Point stammt aus einer Gesprächsrunde der Kreisverwaltung Nordfriesland mit einigen lokalen Arbeitgebern. Weiterentwickelt wurde sie vom Fachdienst Arbeit des Kreises und schließlich von der bb gesellschaft für beruf und bildung mbh mit Leben gefüllt.
Rund 250.000 € kostet die Maßnahme jährlich, die in Teilen aus dem Eingliederungstitel des Sozialgesetzbuches II finanziert wird.
Doch auch der nordfriesische Kreistag hat sich für eine Förderung entschieden. Mit jährlich 150.000 € unterstützt er die Module eins und zwei. „Wir nehmen als Kommune zusätzlich finanzielle Mittel in die Hand, um einen Beitrag zur größten Herausforderung im Zusammenhang mit der Integration geflüchteter Menschen zu leisten - dem Spracherwerb. Die Entscheidung der Kreistagsabgeordneten ist eine Entscheidung für unsere Bürger. Es ist ein klares Signal für die kommunale Daseinsvorsorge - dafür sind wir sehr dankbar“, hält Landrat Florian Lorenzen fest.
„Damit Menschen dauerhaft in unserer Gesellschaft und auf unserem Arbeitsmarkt erfolgreich Fuß fassen können, ist eine zügige Sprachförderung von zentraler Bedeutung. Diese können wir als Kreis durchaus schneller vorbereiten und umsetzen, da wir näher an den Menschen dran sind. Auch der „Job-Talk“ beweist, dass wir den Bedarf direkter erheben und so passgenauere und für den ländlichen Raum nachfragegerechte Konzepte für unsere Kunden und Unternehmen erstellen können. Wir verstehen uns an dieser Stelle als unterstützender Partner des Bundes“, so Lorenzen weiter.
Selbstverständlich ist die freiwillige Leistung der Kommune nicht, denn für das Thema Spracherwerb ist eigentlich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zuständig. Es stellt Migranten Integrationskurse, Berufssprachkurse etc. zur Verfügung. Das Problem: Es gibt nicht genügend Lehrpersonal, Räumlichkeiten und Kursplätze.
„Die Wartezeit zwischen den Regelangeboten des BAMF ist oftmals zu lang, teils zwölf Monate oder mehr. Die Geflüchteten verlieren in dieser Zeit oft die Sprachkenntnisse, die sie im Integrationskurs erworben haben“, verdeutlicht Renate Fedde, Leiterin der Abteilung Arbeitsmarktintegration im Jobcenter Nordfriesland.
An dieser Stelle setzt der Integration Point an. Wer zum Beispiel das erste Regelangebot bis zum Sprachniveau B1 abgeschlossen hat und auf den Berufssprachkurs bzw. eine Arbeitsstelle und einen Job- Berufssprachkurs wartet, wird hier im Lernprozess aufgefangen. „Uns gelingt es so, die Sprachkenntnisse der Teilnehmer zu halten und sogar zu verbessern. Für sie ist der Integration Point damit eine gute Gelegenheit, um sich noch schneller in den Arbeitsmarkt integrieren zu können“, so Fedde. 51 Frauen und Männer konnten in den vergangenen zwei Jahren sogar direkt aus der Maßnahme heraus in Arbeit vermittelt werden, zwei Personen in eine Ausbildung.
Neue Chancen im Norden
Die Entwicklung des Integration Point spricht eine klare Sprache. Und so entschied sich der nordfriesische Kreistag im Februar 2024, die Förderung des Husumer Standortes um 50.000 € zu erhöhen und das Angebot auf den Norden des Kreises auszudehnen. Im Amtsgebiet Südtondern entsteht - zunächst für den Zeitraum 2025 bis 2027 - nun ein weiterer Integration Point, den der Kreis mit jährlich 100.000 € allein finanziert. Hier wird sich der Träger - die agp Weiterbildung und Beruf GmbH & Co. KG - auf das Modul eins zum Sprachstanderhalt konzentrieren und 15 Plätze anbieten.
Keine Frage: Der Integration Point ist ein Erfolgsmodell - dank des großen Engagements aller Verantwortlichen und der positiven Annahme der Teilnehmer. Das nordfriesische Konzept hat seit seinem Start im Februar 2023 viel erreicht. Vor allem ist es gelungen, Geflüchteten durch eine intensive Sprachförderung eine echte Perspektive zu bieten und so ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu fördern. Dies zeigt: Integration gelingt dort, wo Menschen die Unterstützung erhalten, die sie wirklich brauchen. □
Laura Lewin, Pressestelle,
Kreis Nordfriesland